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Es braucht ein Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler_Innen

Updated: Nov 28, 2020

Von: Sabine Damir-Geilsdorf, Julia Eckert, Gritt Klinkhammer, Michi Knecht, Mira Menzfeld, Werner Schiffauer und Martin Zillinger


Dieser Artikel erschien erstmalig am 23. November 2020 auf verfassungsblog.de im Rahmen des online-Symposiums „Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler_Innen“: https://verfassungsblog.de/es-braucht-ein-zeugnisverweigerungsrecht-fur-wissenschaftler_innen/


Beamte des Bayerischen Landeskriminalamts durchsuchten am 31.1.2020 das Büro des Hochschullehrers Mark Stemmler, der im Rahmen eines Forschungsprojekts vertrauliche Gespräche mit inhaftierten Jihadis geführt hatte. Audio-Aufzeichnungen sowie Informationen zu Beforschten wurden trotz seines Protests beschlagnahmt. Das Problem potentieller und faktischer staatlicher Interventionen während laufender Forschungen ist nicht erst seit diesem Vorfall im Januar 2020 bekannt: Kolleg_Innen werden mitunter zu Prozessen gegen ihre Befragten als Zeug_Innen geladen (s. bspw. de Koning, 2020: https://brill.com/view/journals/jome/9/2/article-p220_5.xml ) oder von Staatsorganen auf ihre Forschungsthemen und ihre Kooperationswilligkeit angesprochen. Und auch wo staatliche Interventionen in Bezug auf Forschung (noch) nicht öffentlich sichtbar vorgenommen wurden, verschreckt die blosse Möglichkeit bereits gewonnene und künftige Kontaktpersonen im Feld. Das Bekanntwerden einzelner behördlicher Eingriffe, wie im Fall Stemmler geschehen, vermag in wenigen Stunden die vertrauensbildende Arbeit von Jahren in sensiblen Forschungsfeldern zu zerstören und zentrale Feldkontakte dauerhaft zu kappen. Dieser Missstand muss vom Gesetzgeber behoben werden.

1. Ein fehlendes Zeugnisverweigerungsrecht verunmöglicht zielführendes Forschen

Wissenschaftler_Innen, die vonseiten deutscher Forschungseinrichtungen Datenschutz und Anonymität sicherzustellen verpflichtet sind, haben im Falle einer Gerichtsvorladung oder einer Durchsuchung keinerlei rechtliche Handhabe, ihre Forschungsdaten und ihre Beforschten zu schützen. Angesichts der ethisch und wissenschaftlich problematischen Implikationen dieses Istzustandes müssen Wissenschaftler_Innen überlegen, geplante Forschungsprojekte – beispielsweise zu gemeinhin als salafitisch bezeichneten Formen muslimischer Frömmigkeit – ganz ohne Interviews und andere Formen qualitativer Datenerhebung durchzuführen. Ein solches Vorgehen aber führt dazu, dass nur noch unsichere und indirekte Rückschlüsse auf Akteure im Feld gezogen werden können. Die Kooperation mit Menschen, die sich selbst am Rand der allgemein anerkannten gesellschaftlichen Ordnung oder außerhalb bestehender Institutionen verorten, wird unmöglich gemacht, wenn die Gesprächspartner befürchten müssen, dass alle Informationen, die sie im Rahmen einer Forschung preisgeben, gegen sie verwendet werden können – und ihre Existenz in Deutschland gefährdet wird.

Solange Gesetzeslücken Forschende im Angesicht einer potentiellen Durchsuchung oder Aussageaufforderung zur Preisgabe von Informationen zwingen können, wird der Aufbau vertrauensvoller Kontakte im Feld unterminiert und kann eine qualitativ-empirische Forschung nicht zielführend vorgenommen werden. Nicht nur im Bereich der Terror- und Extremismusforschung können unter diesen Bedingungen keine Informationen im Feld erhoben werden. Fehlendes Wissen über soziale Dynamiken und politische Prozesse vor Ort und in situ birgt mittelfristig Gefahren für das demokratisch verfasste Gemeinwohl und die friedliche Koexistenz in einer pluralen Gesellschaft. Zudem erscheint es widersprüchlich, Projekte der Grundlagenforschung zu potentiell gefährdenden Personengruppen durch staatliche Forschungsförderer und Ministerien zu unterstützen, gleichzeitig aber ihre Durchführung durch ein fehlendes Zeugnisverweigerungsrecht der Forschenden zu erschweren.

2. Ungerechtfertigte Schlechterstellung von Wissenschaftler_Innen gegenüber anderen Berufsgruppen

Zurecht behält der Staat Journalist_Innen ein grundlegendes Zeugnisverweigerungsrecht vor, das es ihnen ermöglicht, in allen gesellschaftlichen Milieus – sensiblen, illegitimen und auch illegalen – zu recherchieren und Informationen zu sammeln, welche anschließend aufbereitet als Erkenntnisgewinn für die gesamte Gesellschaft öffentlich zur Verfügung stehen. Einem solchen, umfassenderen Ziel der Informations- und Erkenntnisgewinnung der Gesellschaft ist das engere gesellschaftliche Ziel der konkreten Strafverfolgung in diesem Fall untergeordnet.

Ein solches Berufsgeheimnis für Wissenschaftler_Innen fehlt derzeit, ist aber von grundlegender Bedeutung. Denn genau diese verbindliche Schutzzusage ist für viele der Beforschten eine Vorbedingung dafür, überhaupt mit Wissenschaftler_Innen zu sprechen. Faktisch verhindert das fehlende Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler_Innen freie Forschung und damit gesamtgesellschaftlichen Wissensgewinn: Insbesondere in der Terror- und Extremismusforschung, aber auch in anderen sensiblen Forschungsfeldern, die in gesellschaftlichen Zwischenräumen stattfinden – wie beispielsweise Forschungen zu jugendlichen Protest- oder religiösen Devianzkulturen.

3. Verpflichtungen zum Forschungsdatenschutz sind aufgrund des fehlenden Zeugnisverweigerungsrechts faktisch nicht einhaltbar

Nicht zufällig trifft diese Debatte um den fehlenden Schutz empirischer Forschungsdaten auf die zurecht von nationalen wie internationalen Forschungsförderinstitutionen angestoßene Debatte um Datensicherheit sowie Datenspeicherung (z.B. DFG, 2020: https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/antragstellung/forschungsdaten/richtlinien_forschungsdaten.pdf ). Werden also einerseits empirische Erkenntnisse immer notwendiger für ein tieferes Verständnis von und für demokratisch-politisches Handeln in einer höchst diversifizierten Gesellschaft, wachsen andererseits auch die Anforderungen an die Datensicherheit sowie das Datenmanagement. So sind die Auflagen in Bezug auf die Datensicherung bei empirischen Forschungsprojekten in den letzten Jahren immer anspruchsvoller geworden, und es werden mittlerweile zurecht von allen großen Forschungsförderinstitutionen (DFG, Max-Planck, VW, EU etc.) Datenmanagementpläne und Vertraulichkeitszusagen gegenüber den Beforschten zur Grundlage für die Genehmigung und Finanzierung von Projekten gemacht.

Angesichts der fehlenden gesetzlichen Grundlage für Wissenschaftler_Innen in Deutschland wie in europäischen Nachbarstaaten ist aber – juristisch gesehen – das Berufsgeheimnis de facto nicht zu wahren. WissenschaftlerInnen können keine verlässlichen Zusagen treffen, Quellen und Beforschte unter allen Umständen im Anonymen belassen zu können, obwohl sie in vielen Fällen ab dem Zeitpunkt der Bewilligung eines Projektes genau dazu verpflichtet sind.

4. Wie kann ein Zeugnisverweigerungsrecht für Wissenschaftler_Innen gestaltet werden?

Die paradoxe gegenwärtige Situation stellt uns empirisch forschende Wissenschaftler_Innen wie auch die Gesellschaft insgesamt vor die Herausforderung, einen gangbaren Ausweg zu finden und rechtsverbindlich umzusetzen. Für uns liegt auf der Hand, dass die bestehende Gesetzesregelung zum Berufsgeheimnis ausgeweitet werden muss, sodass sie auch für Wissenschaftler_Innen Anwendung findet. Wir fragen Jurist_Innen: Welche Möglichkeiten gibt es, dies umzusetzen? Welche alternativen Wege gäbe es womöglich? Wie sieht es in anderen Ländern aus? Diskutierenswert erscheinen uns außerdem die Konkretisierung der Zielgruppe: Welche Personen genau sollten ein solches Zeugnisverweigerungsrecht für die Wissenschaft in Anspruch nehmen können?

Das hohe Gut des staatlich zu ermöglichenden und zu befördernden wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns verlangt es, dass Forschende in ihren Optionen auf Zeugnisverweigerung und Quellenschutz explizit abgesichert werden. Wir erhoffen uns von Beiträgen zu diesem online-Symposium juristische Hinweise, wie das adäquat geschehen kann.

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